Zwischen Tigre und Teatro

Meine letzte Woche besteht vorwiegend aus Abschiedsessen und übrig gebliebenes: so musste ich doch endlich einmal in die Parrilla wenige Meter neben meiner Wohnung gehen – und hab mal wieder zwei Drittel eingepackt bekommen, von denen ich nicht weiß, wann ich sie noch essen soll. Endlich fand auch das Treffen mit Rafael Spregelburd statt, der in einem Jahr an der Schaubühne eines seiner Stücke  inszeniert – und der, wie sollte es anders sein, deutschjüdische Vorfahren hat, allerdings auch Russen, Italiener und Spanier – wie seine Familie hier her kam, ist ein eigener Film wert. Der Name wurde vermutlich bei der Ankunft seines Großvaters, als er 1902 aus dem ehemaligen Ostpreussen nach Argentinien auswanderte, so seltsam verändert. Rafael selber lernte ihn erst mit Ende 20 richtig auszusprechen, sagt er. Was er über die Unterschiede zwischen Kreativen und Künstlern hier und in Deutschland erzählt – hochinteressant –  weil mir das auch so aufgefallen ist, freilich viel schwammiger, als er es aus eigener Praxis schildern kann.  In dem schönen Lokal „Lo de Jesus“ weist er mich auf die alten Geldscheine hin, die neben vielem an der Wand hängen. Wann immer die Inflation zu groß wurde, hat man einfach ein paar Nullen entfernt und dem neuen Geld einen Namen gegeben. Samt Generalkonterfei. Noch ein Landtag hat geklappt. Mit Graciela und dem Zug eine Stunde Fahrt und dann zuerst durch Tigre radeln, ah und oh sagen und dann mit dem Schiffchen durchs Flussdelta fahren und noch mehr ah und oh sagen. Dschungel. Dass das Wasser hier so braun ist, liegt an seinem hohen Eisengehalt.   Der Mercado ist eine sonntägliche Sensation. Früher wurde hier auf den Booten Gemüse und Obst verkauft, jetzt immer noch, aber noch vieles, vieles mehr. Auf der Zugfahrt zurück steigen wir in dem hübschen Städtchen San Isidro aus und radeln viele Kilometer am Río de la Plata gen Buenos Aires. Nach einem Cafecito im Café „Hilda“ fahr ich nachhause. Als ich das Rad aus dem Lift schiebe, kommt eine junge Italienerin, die gegenüber von mir wohnt, aschfahl auf mich zu. Ihr Apartement ist komplett ausgeraubt worden. Alles weg, Kleidung, Computer, Necessairesachen, Pass, Koffer, alles. Sogar die Adapter. Ob das bei mir auch so sei? Ziemlich ängstlich öffne ich die Tür meiner Wohnung, mein ganzes Equipement, zwei Monate Arbeit da drinnen – aber alles ist da. Wie der Dieb an den Schlüssel gekommen, weiß man nicht. An sich gibt es auch Überwachungskameras, niemand kann ins Haus, wenn ihm nicht aufgesperrt wird. Zum Glück hat mein Ladekabel fürs Iminipad und mein Adapter wenigstens helfen können, ihr Iphone zu laden und ich konnte ihr die Adresse des Macladens nennen, in dem ich wegen meiner Probleme Stammkunde war. Die Hausbesitzerin hat die tapfere Italienerin sofort in ihre Wohnung eingeladen – inzwischen wurden alle Schlösser ausgetauscht, Codekarten werden noch installiert, der Dieb wurde über die Kameraauswertung erkannt, aber das hilft auch nicht weiter. Und die Eltern der jungen Italienerin haben darauf bestanden, dass sie sofort zurückfliegt. Was für ein trauriges Erlebnis. – Aber auch viel Hilfsbereitschaft – ich glaub nicht nur, weil die Hausbesitzerin auf Sicherheit angewiesen ist. Sonst kann sie ihre Apartements nicht mehr an Reisende vermieten. Ich möchte mich hier bei meinem nächsten Besuch auf jeden Fall wieder einquartieren. Die Wohnung liegt ideal für mich. Freilich ists laut und ein permanenter Dreck durch den Verkehr, dass jede Raucherfeindlichkeit zur Farce verkümmert – aber ich fühl mich in der Bude wohl. (Nur das Bett, das ist so ne Nummer.)

Zum Glück nicht nur Abschiede und „letzte Male“,  wie weitere Milongas und Konzerte, die letzte Massage von Sarita, die letzten Einkäufe im Stammkiosk, sondern auch Verabredungen für den nächsten Aufenthalt. Und Neues. So gehe ich am vorletzten Abend zum ersten mal ins Teatro Colón, das hochehrwürdige Opernhaus, das bei meinem letzten Aufenthalt fast durchwegs geschlossen hatte, wegen Ferien und Renovierungsarbeiten, und das auch dieses mal die ersten Wochen noch zu war.

Das Haus ist wirklich wunderschön. Ich habe mir einen Parkettplatz gegönnt. Aber ich wollte doch auch mal von oben einen Blick in den Saal werfen – und frage eine Platzanweiserin, ob ich darf. Sie führt mich sofort in die Präsidentenloge, die direkt über dem Orchestergraben ist – auf meine Frage, ob Kristina, die Präsidentin oft in die Oper geht, sagt sie: No. Es gibt doch Schwierigkeiten zwischen der Stadt und ihr. Dann führt sie mich in die „Königsloge“, wie wir sagen würden würden. Aber mangels argentinischen Königen wird die Loge direkt gegenüber der Bühne für offizielle, wichtige Gäste genutzt. – Das alles 20 Minuten vor der Vorstellung, wo die Platzanweiserin eigentlich anderes zu tun hat als Touristen herumzuführen.

Als ich dann auf meinem Parkettplatz Platz nehme, bin ich ob der Beinfreiheit und Großzügigkeit des Sitzplatzes kaum noch zu bremsen. Da können alle anderen Opernhäuser, Kinos, Konzerträume, Veranstaltungsorte, die ich sonst kenne einpacken. Über diese Freude komme ich mit meinem seriös wirkenden und äußerst freundlichen Sitznachbarn ins Gespräch. Es ist selbstverständlich für ihn, dass er mich in der Pause zu einem Glas Champus einlädt. Und dann wirds doch allmählich etwas unheimlich – was nur will es mir sagen. Er ist nicht nur Architekt, ein erfolgreicher, wie es scheint, er ist auch Mitglied der DAIA – Delegacion Asociasones Israelitas Argentinas – also die Zentrale für Jüdische Flüchtlinge, und will mir für mein Projekt mit den deutschjüdischen Flüchtlingen helfen.

Über die Aufführung muss ich nichts sagen. Weder ist der Barbier von Sevilla so ganz mein Fall, noch diese klamaugige Art zu inszenieren. Aber den Leuten hats gefallen – und mir trotz allem auch.



Worte von dem britischen Offizier, Maler, Autor, Philosophen John Thomas Barber Beaumont, der 1825 nach Argentinien kam: „Die Luft Argentiniens hat eine Wirkung auf die Menschen, die leicht zu verspüren, aber schwer in Worte zu fassen ist. Ich möchte sie als ein Vertrauen in das Leben bezeichnen.“

Al final in meinem Stümperspanisch: Queridos amigos en Argentina: Muchas gracias. Un gran abrazo. Argentina y ustedes estan en mi corazón. Y:  no tengo una maleta en Buenos Aires, pero una bolsa con mi bidón y otras cosas. Adíos!!!

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